• Juni 2009

    Natürlich möchte jeder von einem Rechtsanwalt beraten werden, der sein Metier versteht. Je qualifizierter, desto besser. Also sollte man mit seinem Problem einen Rechtsanwalt beauftragen, der sich möglichst eng spezialisiert hat - oder etwa doch nicht?

    Grundsätzlich gilt: Der deutsche Jurist ist Volljurist, d. h. er hat alles gelernt. Oder zumindest von allem ein bisschen. Der hohe Konkurrenzdruck unter den Rechtsanwälten hat allerdings in den letzten Jahren dazu geführt, dass sich immer neue - tatsächliche oder angebliche - Spezialisierungen herausgebildet haben. Wirklich hilfreich für den Rechtssuchenden sind die meisten aber nicht.

    Oberste Spezialisierung ist der Fachanwalt. Fachanwaltschaften gibt es inzwischen 20, darunter alt ehrwürdige wie den Fachanwalt für Familienrecht, aber auch neumodisch schillernde, wie den Fachanwalt für Informationstechnologierecht, der ursprünglich Fachanwalt für Informationstechnologie heißen sollte, bis jemand bemerkte, dass Informationstechnologie kein Rechtsgebiet ist. Auf diese Erkenntnis reagierte man, indem man der Informationstechnologie ein - recht anhängte. So einfach kann man Rechtsgebiete kreieren.

    Der Fachanwalt ist die einzige wirklich objektive Zusatzqualifikation die es unter Rechtsanwälten gibt. Ursprünglich sollte die Einführung eines Fachanwaltes denjenigen Rechtsgebieten vorbehalten bleiben, die eine eigene Gerichtsbarkeit haben, also Sozialrecht, Arbeitsrecht, Familienrecht, Strafrecht, Verwaltungsrecht, Steuerrecht und mit leichten Einschränkungen Familienrecht. Für diese Rechtsgebiete gibt es eigene Prozessordnungen, die nur kennt, wer sich regelmäßig damit befasst. Wenn Sie auf einem dieser Rechtsgebiete Rat suchen, sollten Sie sich daher an einen solchen Fachanwalt wenden.

    Leider hat es die Anwaltschaft nicht dabei belassen, und größtenteils der Nachfrage folgend wild wuchernd weitere Fachanwaltschaften ersonnen, deren Sinn und Zweck weit weniger einsichtig ist. Ein Fachanwalt für Verkehrsrecht z. B. befasst sich mit allen Rechtsfragen, die mit dem Straßenverkehr zu tun haben, Das kann ziviles Schadenersatzrecht sein, aber auch Versicherungsrecht (für das es übrigens einen eigenen Fachanwalt gibt), Verwaltungsrecht (für das es ebenfalls einen eigenen Fachanwalt gibt) oder Strafrecht (für das es - Sie ahnen es - einen eigenen Fachwanwalt gibt). Der Fachanwalt für Verkehrrecht ist daher eigentlich kein Spezialist, sondern das Gegenteil eines Spezialisten, da er irgendwie alles können muss. Ob es da sinnvoll ist, z. B. mit einem eigentlich strafrechtlichen Problem einen Fachanwalt für Verkehrsrecht zu beauftragen, nur weil die Straftat zufällig im Straßenverkehr begangen wurde (z. B. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort), ist höchst fraglich. Aber zumindest wissen Sie beim Fachanwalt, dass er in dem jeweiligen Rechtsgebiet irgendwie qualifiziert ist.

    Vollends absurd wird es dann aber, wenn Rechtsanwälte sich über die mittlerweile bedeutungslosen Signalwörter "Tätigkeitsschwerpunkt" oder "Interessenschwerpunkt" oder aber als - rechtlich allenfalls schwammig umrissener - "Spezialist" Rechtsgebiete zuschreiben, die mit Recht rein gar nichts mehr zu tun haben.

    So kann man dem "Recht" jedes beliebige Hauptwort voranstellen und erhält Rechtsgebiete ohne Ende, aber auch ohne Sinn: Wenn es schon Tierrecht gibt, warum nicht auch Hunderecht, Katzenrecht oder das titelgebende Pferderecht? Kleintierrecht? Feldhasenrecht? Türklinkenrecht? Malayisches Krummsäbelrecht? Alles kein Problem, aber auch keine Hilfe.

    Man muss bei der Spezialisierungswahl auch nicht beim Objekt der eigenen Rechtskenntnisse stehen bleiben, sondern kann sich gleich nach seiner Zielgruppe benennen: Handwerkeranwalt, Fliesenlegeranwalt, Opferanwalt. Da ist es nur noch ein kurzer Weg zum Blondinenanwalt oder zum Millionärsanwalt. Spätestens da müsste sich dem Rechtssuchenden die Frage aufdrängen: Welche Qualifikation hat eigentlich ein Fliesenlegeranwalt? Wenn sich der Fliesenleger scheiden lassen will, geht er dann nicht doch lieber zu einem Scheidungsanwalt - pardon - einem Fachanwalt für Familienrecht?

    Oder er fragt einfach erstmal jemanden, der sich damit auskennt. Einen Rechtsanwalt.