• April 2013

    Ein Beitrag zum Versicherungsrecht (Berufsunfähigkeitsversicherung) von Rechtsanwalt Jan-Martin Weßels, Hamburg:


    Sollte ein berufsunfähiger Mandant mit der Berufsunfähigkeitsversicherung sinnvollerweise eine außergerichtliche Einigung erzielen? Vereinbarungen sind im Recht, gerade im Arbeitsrecht bekanntlich häufig, aber nicht nur da, auch im Versicherungsrecht und selbst im Rechtsgebiet des Sozialrechts mit Vorsicht zu genießen.

    Zum Thema Vereinbarung im Versicherungsrecht und dem Rechtsgebiet der Berufsunfähigkeitsversicherung fällt mir insbesondere die sogenannte Krabbenfischerentscheidung des Bundesgerichtshofs ein, die ihren Ausgang vor dem Landgericht in Kiel nahm.

    Dieser Kieler Fall zeigt, obwohl schon etwas in die Jahre gekommen, immer noch anschaulich und zu Recht, dass man Vereinbarungen im Versicherungsrecht nur gut überlegt und durch einen Rechtsanwalt beraten eingehen sollte. Nebenbei bemerkt; ein Anwalt/ der Rechtsanwalt liebt es, wenn Fälle eine prägnante Bezeichnung ("Krabbenfischerentscheidung") erhalten.

    Es ging in dem vor dem Kieler Landgericht verhandelten Fall zur Berufsunfähigkeit um einen ehemaligen Krabbenfischer (Fischwirt). Dieser litt unter Rückenproblemen (Bandscheibenvorfall) und war deshalb jedenfalls für die Tätigkeit im Fischerberuf unstreitig berufsunfähig im Sinne seiner zu gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit, d.h. im Sinne der Bedingungen seiner Berufsunfähigkeitsversicherung. Gleichwohl leistete der BU-Versicherer für einige Jahre nur aus „Kulanz“.

    Obwohl der Vertrag sowohl die Möglichkeit eines zeitlich befristeten Anerkenntnisses als auch die Berücksichtigung neu erworbener beruflicher Kenntnisse nicht zuließ, verwies der Versicherer den Kläger später mit der Folge der Einstellung der Zahlung auf den inzwischen ausgeübte Einzelhandelskaufmannstätigkeit.

    Das Landgericht Kiel gab dem Kläger, der sich gegen die Leistungseinstellung aus mehreren bei der Beklagten gehalten Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungen trotz eingetretener Berufsunfähigkeit wehrte Recht.

    Obwohl das Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die Berufung der Berufsunfähigkeitsversicherung die Klage aus Kiel wegen Berufsunfähigkeit abwies, ließ sich der Versicherungsnehmer nicht beirren und legte zu Recht Revision durch einen Rechtsanwalt in Karlsruhe ein, um das Urteil des Landgerichts Kiel durch den auf das Versicherungsrecht spezialisierten Senat des BGH bestätigen zu lassen. Auch hier war der Kläger offenbar durch seinen Anwalt sehr gut vertreten. Nebenbei bemerkt: Vor dem Bundesgerichthof muss man sich durch speziell dort zugelassene Rechtsanwälte vertreten lassen. An dem ursprünglichen Urteil aus Kiel hatten die Richter aus Karlsruhe dann auch wenig auszusetzen und gaben dem Kläger Recht.

    Der Versicherer hätte den Kläger auf die Folgen einer solchen vertragsändernden Vereinbarung der Berufsunfähigkeitsversicherung jedenfalls hinweisen müssen!

    Dazu die Pressemitteilung des BGH vom 07.02.2007:

    „Der Kläger verlangt von der beklagten Versicherungsgesellschaft Leistungen aus mehreren Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungen. Er hatte den Beruf des Fischwirts Kleine Hochsee- und Küstenfischerei erlernt und den Meisterbrief und das Kapitänspatent erworben. In diesem Beruf, in dem er als Krabbenfischer tätig war, ist er infolge eines Bandscheibenvorfalls seit September 1995 zu 100% berufsunfähig. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger nach der von ihm vom 1. Juli 1997 bis 31. Juli 1999 erfolgreich absolvierten Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann auf diesen Beruf verwiesen werden kann, den er als Fischverkäufer im elterlichen Betrieb ausübt. Nach einer von der Beklagten entworfenen und vom Kläger im November 1997 unterzeichneten Vereinbarung stellte die Beklagte die Entscheidung über das Vorliegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit bis zum 31. Juli 1999 zurück, erbrachte für den Zeitraum vom 1. Juli 1997 bis 31. Juli 1999 im Wege der Kulanz die vertraglich vorgesehenen Leistungen und behielt sich vor, nach Ablauf dieser Zeit das Vorliegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit anhand der dann vorliegenden gesundheitlichen Verhältnisse und auch unter Berücksichtigung zwischenzeitlich neu erworbener beruflicher Fähigkeiten abschließend zu prüfen. Aufgrund dieser Vereinbarung verwies die Beklagte den Kläger nach Abschluss der Ausbildung auf die neue Tätigkeit als Einzelhandelskaufmann und stellte die Leistungen ab dem 1. Januar 2000 ein. Der Kläger hält die Vereinbarung für unwirksam, die Berufung darauf jedenfalls für rechtsmissbräuchlich.

    ...

    Auf die Revision des Klägers hat der Bundesgerichtshof die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab dem 1. Januar 2000 die jährliche Rente von knapp 16.000 € weiter zu zahlen und ihn im Wesentlichen von der Beitragszahlung freizustellen. Der Beklagten ist es nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Vereinbarung zu berufen. Sie hatte damit den Versuch unternommen, unter Ausnutzung ihrer überlegenen Sach- und Rechtskenntnisse die vertragliche Rechtsposition des Klägers in schwerwiegender Weise zu verschlechtern.

    Statt dessen hat sie sich gegen das Versprechen befristeter Kulanzleistungen eine nach dem Versicherungsvertrag ausgeschlossene, zur Leistungseinstellung führende Verweisungsmöglichkeit verschaffen wollen, ohne dem Kläger die mit der Vereinbarung verbundene gravierende Einschränkung seiner Rechtsposition zu offenbaren. Ein Versicherer, der sich auf eine solche Vereinbarung beruft, handelt rechtsmissbräuchlich.

    Urteil vom 7. Februar 2007 - IV ZR 244/03
    Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht - Urteil vom 2. Oktober 2003 16 U 29/03 ./. LG Kiel - Urteil vom 17. Januar 2003 4 O 335/00
    Karlsruhe, den 7. Februar 2006“

    Hintergrund:

    Die Vereinbarung mit dem Versicherer in diesem Fall lautete (Zitat):

    "1. Die [Beklagte] stellt eine Entscheidung über das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen bis zum 31.7.1999 zurück und sieht gegenwärtig von weiteren Erhebungen ab.

    2. Sie ist bereit, für den Zeitraum vom 1.7.1997 bis 31.7.1999 an [den Kläger] aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung die vertraglich vorgesehenen Leistungen (…) zu erbringen. …

    3. Bei Ablauf der Vereinbarung wird die [Beklagte] die Berufsunfähigkeit anhand der dann vorliegenden gesundheitlichen Verhältnisse und beruflichen Fähigkeiten unter Berücksichtigung zwischenzeitlich eingetretener Änderungen abschließend prüfen. Neu erworbene berufliche Fähigkeiten sind dabei zu berücksichtigen. Falls erforderlich, wird sich [der Kläger] einer fachärztlichen Begutachtung unterziehen.

    4. Diese Vereinbarung beinhaltet noch keine Anerkennung der Berufsunfähigkeit.

    5. Die bis zum Ablauf der Vereinbarung - 31.7.1999 - erbrachten Leistungen sind auch dann nicht an die [Beklagte] zurückzuerstatten, wenn bei der abschließenden Prüfung das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit verneint werden müsste."

    Eine Warnung zum Schluss muss ich leider anbringen. Diese Entscheidung darf nicht darüber hinwegtäuschen. Grundsätzlich bleibt es auch Sache des Versicherungsnehmers sich - gegebenenfalls mit der Hilfe eines Rechtsanwalts - über seine vertraglichen Rechte zu informieren. Bevor Sie sich „abfinden lassen“ gilt daher immer zu Recht: Rechtsanwalt / Anwalt fragen! Ihr Anwalt kann durchaus auch beispielsweise auf das Sozialrecht, Baurecht, Familienrecht oder Arbeitsrecht spezialisiert sein, wenn er, oder zumindest einer oder die Rechtsanwälte seiner Kanzlei, auch über sehr gute Kenntnisse im Versicherungsrecht verfügen.

    Diesen Kommentar verfasste Rechtsanwalt Jan-Martin Weßels, Hamburg.

    (Quelle: Die Entscheidung im Volltext sowie die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs sind erhältlich unter juris.bundesgerichtshof.de)

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