• Mai 2012

    Selbst wenn ein Patient noch so plausibel die Ursachen seines Leidens vorträgt – der Arzt darf sich nie darauf verlassen. Die möglichen Folgen zeigt der Fall eines 37-jährigen Familienvaters. Der Sanitäter wurde aufgrund starker Schmerzen in seiner linken Körperseite ins Krankenhaus eingeliefert. Die dortige Untersuchung führte ein anwesender Orthopäde durch.

    Keine Beschränkung auf das Fachgebiet

    Der Rettungssanitäter erzählte dem Arzt selbstbewusst, die Schmerzen rührten von einem eingeklemmten Halswirbelnerv her. Außerdem sei er bereits internistisch untersucht worden – allerdings ohne mitzuteilen, dass das mehrere Monate zurücklag. Aufgrund der Eigendiagnose suchte der Mediziner nach entsprechenden Ursachen und entdeckte tatsächlich eine Querwirbelblockade sowie eine Muskelverspannung. Danach entließ er den Patienten nach Hause. Seine Ehefrau fand ihn am gleichen Nachmittag bewusstlos auf. Kurze Zeit später verstarb der Mann an einem unentdeckten Herzinfarkt. Seine Frau und die zwei Kinder verklagten den Arzt wegen eines groben Behandlungsfehlers auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz hätte der Arzt sich nicht auf sein orthopädisches Fachgebiet beschränken dürfen. Alle Symptome seien stets umfassend zu bewerten, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme von Kollegen.

    Umfassende Befunderhebung erforderlich

    Weitere Nachforschungen wären zudem notwendig gewesen. So wäre dem Beklagten aufgefallen, dass die internistische Untersuchung nicht vom selben Tag stammen konnte. Der daraufhin fällige erneute Check hätte in der Klinik in wenigen Minuten erfolgen und so der Tod wahrscheinlich verhindert werden können. Eine Eigendiagnose beschränke – egal wie sachkundig und selbstbewusst vorgetragen – keinen Arzt in seinen Untersuchungspflichten. Das OLG ging zwar von keinem Behandlungs-, dafür aber von einem Befunderhebungsfehler aus. An den Urteilsfolgen änderte das nichts. Deren Rechtskraft steht aufgrund der vom Beklagten eingelegten Revision allerdings noch aus.
    (OLG Koblenz, Urteil v. 30.01.2012, Az.: 5 U 857/11, nicht rechtskräftig)

    Christian Günther/GUE
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