• Dezember 2004

    Die großartigen Fortschritte der modernen Medizin bringen Patienten nicht nur Gutes – sie machen auch angst. Angst davor, in der letzten Zeit des Lebens in Abhängigkeit von Maschinen leben zu müssen. Angst vor dem Nicht-mehr-leben-können und dem Nicht-sterben-dürfen.
    Mit der aktuellen Situation in den Niederlanden, wo unter engen Voraussetzungen aktive Sterbehilfe legalisiert wurde, sind Tod und Sterben für kurze Zeit vermehrt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten – um dann genau so schnell wieder daraus zu verschwinden.
    Diese Angst vor einem unwürdigen Ende treibt auch heute noch viele Menschen dazu, den niederländischen Weg im Umgang mit Sterbenden zu befürworten, verspricht er doch ein schnelles, schmerzloses Ende.
    Gegenwärtig ist vielen Menschen allerdings weitgehend unklar, was in Deutschland nach geltender Rechtslage zulässig ist.

    1. Einleitung

    Je mehr Leben und Tod zu einem manipulierbaren Prozess geworden sind, je mehr sie entnaturalisiert sind, desto mehr stellt sich die Frage der rechtlichen und ethischen Grenzziehung zwischen Leben und Tod , zwischen einem würdigen Sterben und einem unwürdigen Am-Leben-Halten.
    In Zuge seiner historischen Entwicklung hat sich der Mensch immer mehr vom Tod entfernt, ihn so weit wie möglich aus seinem Alltag verdrängt.
    Es ist noch gar nicht lange her, da hatten Sterben und Tod etwas Privates, ja Intimes, durfte sie der Mensch doch zu Hause erleben, aufgehoben bei und in seiner Familie. Zwar wünschen sich auch heute die Mehrzahl der Menschen ein solches Sterben, dennoch ist es nur noch sehr wenigen vergönnt – viele sterben in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen.
    Dem Trend der „Enthäuslichung“ des Sterbens wirkt die Hospizidee mit all den sie tragenden Menschen auf beeindruckende Weise entgegen. Sie, die das Sterben zurück ins Leben holen wollen und ihm ein „zuhause“ geben wollen, stellen den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen.
    Und so gibt es immer mehr Hospize und Hospizinitiativen, die das Sterben als Teil des Lebens begreifen und dem Sterbenden in seiner letzten Zeit - unter Berücksichtigung seiner individuellen Wünsche - ein Stück Lebensqualität geben wollen.

    2. Rechtliche Grundlagen

    Die Diskussion um Sterbehilfe im weitesten Sinne wird auch dadurch erschwert, dass hinsichtlich der verwendeten Begrifflichkeiten keine Einigkeit besteht. Daher soll nachfolgend ein kurzer Überblick gegeben werden.

    a) Aktive Sterbehilfe

    In Deutschlang ist aktive Sterbehilfe, also die Verkürzung eines Lebens durch gezielte Einflussnahme verboten.
    Anders als beispielsweise in den Niederlanden kann auch ein schwerstkranker Patient nicht straffrei um seine Tötung bitten.

    b) Tötung auf Verlangen

    Das strafrechtliche Tötungsverbot der §§ 212, 211 Totschlag und Mord, verbieten es, das Leben eines Menschen durch aktives Tun zu beenden. Dies gilt auch für Schwerstkranke oder Sterbende. Strafbar ist nach § 216 StGB, der Tötung auf Verlangen, eine Tötung auch dann, wenn sie auf den ernstlichen und ausdrücklichen Wunsch des Sterbewilligen hin geschieht.
    Im Gegensatz zur straflosen Selbsttötung liegt bei der Tötung auf Verlangen die Tatausführung nicht mehr in den Händen des Sterbewilligen.
    Darin ist auch der wesentliche Grund für die Strafbarkeit zu sehen: Der Sterbewillige begibt sich in die Hände einer anderen Person und kann – anders als bei der Selbsttötung, den Geschehensablauf nicht mehr beeinflussen. Darüber hinaus bleibt immer die Gefahr, das Tötungsverlangen könne nicht vollzugsreif sein.

    c) Passive Sterbehilfe

    Straflos ist dagegen die passive Sterbehilfe, die auf lebensverlängernde Maßnahmen dann verzichtet, wenn diese sinnlos sind und für den Betroffenen nur noch eine Leidensverlängerung bedeuten. Plastischer formuliert: Es wird dem Schicksal sein Lauf gelassen.
    Handlungen im Bereich der passiven Sterbehilfe fallen damit in die juristische Kategorie des Unterlassens.
    So kann beispielsweise straflos darauf verzichtet werden, eine Infektion noch zu therapieren, wenn davon auszugehen ist, dass dies für den Patienten nur noch eine Leidensverlängerung bewirkt.
    Die ethische Grundlage für passive Sterbehilfe wird in dem Respekt vor dem Leben und Sterben des Patienten gesehen.

    d) Indirekte Sterbehilfe

    Indirekte Sterbehilfe, die auf Schmerzlinderung gerichtet ist, auch wenn diese als unbeabsichtigte Nebenfolge zugleich auch eine Lebensverkürzung bewirken kann, ist zulässig.
    Allerdings ist angesichts der medizinischen Fortschritte im Bereich der modernen Analgetika (Schmerzmittel) davon auszugehen, dass eine Lebensverkürzung mit der Einnahme nicht mehr verbunden ist. Im Gegenteil: Patienten, die weitgehend schmerzfrei sind, leben länger.

    e) Hilfe im Sterben/Reine Sterbehilfe

    Keinen rechtlichen Bedenken begegnen dagegen Verhaltensweisen, die umfassenden Beistand für den Sterbenden bedeuten, also beispielsweise die seelsorgerische Betreuung oder das Stillen von Hunger- und Durstgefühlen.

    f) Euthanasie

    Dieser Begriff wird infolge des Missbrauchs durch die Nationalsozialisten gar nicht mehr oder nur noch sehr zurückhaltend verwendet.
    Das Wort besteht aus zwei altgriechischen Bestandteilen und kann am besten mit „Sterbehilfe“ oder „Sterbewohltat“ übersetzt werden. In der Antike wurde darunter die Erleichterung des Sterbens durch Aufmunterung oder Zuspruch verstanden.

    3. Ausblick

    Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass es zahlreiche, z. T. noch ungeklärte Abgrenzungsprobleme gibt. So sind beispielsweise gerade im Bereich der Abgrenzung zwischen Tötung auf Verlangen und der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung viele Fragen ungeklärt.
    Angesichts der neueren Entwicklung in den Niederlanden ist in Deutschland nicht davon auszugehen, dass aktive Sterbehilfe legalisiert werden wird.
    Auch wenn weite Teile der Bevölkerung aktive Sterbehilfe in Umfragen durchaus befürworten, wird deren Legalisierung seitens der Politik, der Kirchen etc.. abgelehnt. Zu groß sind Befürchtungen, damit ein fragwürdiges Signal in Richtung auf bestimmte Patientengruppen zu geben. Befürchtet wird auch, dass Nützlichkeitserwägungen die zu treffenden Entscheidungen beeinflussen könnten.

    Die Frage, ob die geltende Rechtslage allen denkbaren Konstellationen in diesem sensiblen Bereich zwischen Leben und Tod gerecht wird oder auch nur werden kann, muss wohl verneint werden. Es wird immer Einzelschicksale geben, in denen sachgerechtes Ergebnis zu erzielen schwierig sein wird.

    Geraten werden kann an dieser Stelle nur allen Lesern, sich mit der Thematik rechtzeitig zu befassen und persönliche Wünsche in einer Patientenverfügung niederzulegen.
    Welche (formalen) Anforderungen in diesem Zusammenhang zu beachten sind, kann in meinem Beitrag zum Thema Patientenverfügung nachgelesen werden.