• Oktober 2012

    Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen gehört zu den Kernaufgaben eines Richters. Dabei bewertet er das Erinnerungsvermögen, die Wahrheitsliebe und die Urteilsfähigkeit des Zeugen. Die Vernehmungslehre kennt unter anderem Lügensignale und Realitätskennzeichen, wie die Detailhaftigkeit einer wahren Aussage. Wahre Aussagen sind auch von Emotionen gekennzeichnet, da das menschliche Gehirn Informationen besser speichert, wenn sie mit Emotionen verbunden sind.

    Lügensignale sind unter anderem das Fehlen von Details bei einer Aussage, wenn nachgefragt wird. Gleichzeitig setzen Lügner auf eine Vielzahl von unwesentlichen Details, um damit ihr Gegenüber zu beeindrucken. Geschickte Lügner verbinden deshalb eine Lüge mit einer wahren Erinnerung. So wird eine Lüge auf ein traumatisches Erlebnis aus der Vergangenheit gepfropft, um die Lüge mit den wahren Emotionen glaubhafter zu machen. Eine solche Lüge ist für einen Richter schon erheblich schwerer aufzudecken. Die Vernehmungspsychologie bietet dem Richter aber noch genügend andere Ansatzpunkte wie die Beobachtung einer Vorwegverteidigung beim Zeugen, vielleicht auch unsinnige Gegenangriffe startet und sich demonstrativ über Fragen entrüstet.

    Zweifelhaft sind Beobachtungen wie Nervosität, Zittern, Schwitzen, Händereiben, usw., auch wenn diese als Warnsymptome bezeichnet werden. Denn ein Zeuge, der noch nie vor Gericht stand, kann abgrundtief nervös sein, während der geübte berufsmäßige Zeuge und Lügner völlig ruhig erscheint. Bei Zwangsstörungen und anderen psychischen Erkrankungen sollte der Anwalt das Gericht vorab darauf hinweisen, um falsche Eindrücke zu vermeiden. Neben dauernd nickenden Mandanten vertrat ich auch einen Beschuldigten, der wegen einer neurologischen Erkrankung seine Mimik nicht unter Kontrolle hatte und unkontrolliert grinste. Wenn der Richter nun Fragen zu einer Verletzung des Opfers stellte und der Angeklagte dabei grinste, war durch die Vorinformation des Richters klargestellt, dass es sich nicht um eine Unwertäußerung handelte.

    In manchen Fallkonstellationen gibt es aber Zweifel an der Sachkunde eines Gerichtes, die Aussagetüchtigkeit und die Glaubhaftigkeit von Zeugen zu beurteilen, so dass hier nach Bundesgerichtshof zwingend ein Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt werden muss. Ich beantrage regelmäßig in Sexualstrafverfahren ein Glaubwürdigkeitsgutachten, wenn der Mandant die Tat bestreitet und das vermeintliche Opfer den einzigen Tatnachweis darstellt.

    Als ein besonderes Merkmal sieht die Rechtsprechung eine psychische Erkrankung eines Zeugen an. In einem Fall aus der Praxis riet mir der Aussagepsychologe, dass vor ihm erst einmal Neurologen und Psychiater die Zeugin untersuchen sollten. Nach der Erweiterung meiner Anträge gegenüber der Staatsanwaltschaft stellte diese dann das Verfahren schnell ein. In einem Fall kam es auch auf den Medikamentenkonsum der einzigen Zeugin, die verschiedenste bewusstseinsverändernde Medikamente einnahm. Ich studierte ein Buch zu Nebenwirkungen von Medikamenten und habe dann der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass Wahnvorstellungen, gesteigerte Aggressivität, zwanghaftes Lügen, verstärkte Träume als Nebenwirkungen vielleicht doch relevant sein könnten. Entsetzt war ich aber, dass die Staatsanwaltschaft selbst vorher sogar über ein offensichtliches Opiat hinweggesehen hatte.

    Genaues Lesen der Akte und oft auch weitergehende Erkundigungen decken manchmal auf, dass Aussagen unter sehr zweifelhaften Umständen zustande gekommen sind. Eine Staatsanwältin in den Wormser Prozessen warf der Verteidigung vor, „Die Verteidigung meint also: Blindwütige Feministinnen wirken auf ahnungslose Kinder ein, bis die von Missbrauch berichten, und skrupellose Staatsanwältinnen übernehmen das …“. Der Ausgang der Wormser Prozesse zeigte, dass die Staatsanwältin das schon recht gut erkannt hat, nur dass es meiner Erfahrung nach oft nicht Skrupellosigkeit bei Polizei und Justiz sind, sondern einseitige Ermittlungen, Engstirnigkeit, Betriebsblindheit, fehlende Fortbildung, Arroganz und die Verbindung von Beamtenkarriere und medienwirksamen Verurteilungen. Einem Traumapsychologen oder einem Psychiater geht es um die Behandlung einer Erkrankung und nicht um die Wahrheitsfindung. Gefährlicher, aber auch heute noch verbreitet, sind „Kindesmissbrauchsaufdecker“ mit ihren Penispuppen, die faktisch Gehirnwäsche betreiben. Nach solchen „Befragungen“ erinnern sich Kinder an Missbrauchshandlungen, auch wenn diese aus faktischen Gründen nie stattgefunden haben können, so befanden sich die Täter in den fraglichen Zeiträumen im Gefängnis, im Ausland, usw. Dass die präparierten Kinder auch noch alle Männer im Umkreis inklusive vernehmender Polizeibeamter, Staatsanwälte und Richter des Missbrauches beschuldigten, wurde von der Justiz ignoriert.

    Zeugnisfähigkeit von Kindern wird in der Regel ab drei Jahren angenommen, aber hier kann nie eine starre Grenze angenommen werden. Ein dreijähriger wird sicherlich kein Zeugnis über seine Beobachtungen zu Aktieninsiderhandel abgeben, aber vielleicht zur Farbe eines Autos. Aber jedes Kind hat eine eigene Entwicklung, so dass das eine Kind vielleicht schon mit drei zeugnisfähig ist, dass andere erst mit fünf Jahren. Eine Begutachtung zur Zeugnisfähigkeit von Geistigbehinderten wird auch regelmäßig notwendig sein.

    Wenn die Tat lange zurückliegt, leidet immer auch die Erinnerung. Das die Erinnerung im Laufe der Jahre nicht besser wird, dürfte jedem Laien bewusst werden. Bei einer Videovernehmung vor dem Ermittlungsrichter vertrat ich eine Beschuldigte, während das Kind als Zeuge über eine Tat berichten sollte, die schon mehrere Jahre zurücklag. Er konnte sich an nichts erinnern, so dass das Verfahren eingestellt wurde. Dies wäre sonst ein Idealfall für ein Glaubwürdigkeitsgutachten gewesen.

    Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 11.September 2002, BGH 1 StR 171/02 -, sich mit den Voraussetzungen für die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens beschäftigt.

    Ich kann nur empfehlen, sich in jedem Fall des Sexualstrafrechts fachkundige anwaltliche Hilfe zu suchen.

    Rechtsanwalt Malte Höpfner

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    12681 Berlin

    Tel.: 030-5480 1493

    E-Mail : Hilfe@Straf-Kanzlei.de