• August 2004

    Infolge der immer wieder auftretenden Rechtfragen im Zusammenhang mit Prüfungen sollen an dieser Stelle die Grundstrukturen dargestellt werden.

    Prüfungen im weitesten Sinne ermöglichen die Kontrolle bereits erworbenen Wissens und die einheitliche Beurteilung des Leistungsstandes.

    Jeder Mensch durchläuft in seinem Leben eine Vielzahl von Prüfungen, Tests und Leistungskontrollen, die über Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten Auskunft geben sollen. Prüfungen werden vielfach mit Ausgeliefertsein, mit Sorgen und Ängsten assoziiert. Für viele scheint gerade das Prüfungsrecht an Schulen ein vollkommen rechtsfreier Raum zu sein, in dem die Lehrkräfte frei und ohne irgendwelche Vorgaben schalten und walten können.

    Dies ist nicht der Fall. Gerade das Ergebnis einer schulischen Abschlußprüfung spielt die zentrale Rolle im Lebenslauf eines Menschen, entscheidet sie häufig allein über die Erlangung von Ausbildungs- oder Studienplätzen.
    Angesichts der Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt sind die Bedeutung und der Einfluß von Abschlußnoten auch in der Zukunft nicht hoch genug einzuschätzen.
    Negative Prüfungsentscheidungen haben in der Regel Auswirkungen auf die spätere Berufswahl, so daß Artikel 12, die Berufsfreiheit, des Grundgesetzes tangiert ist.

    Fragen im Bereich des Prüfungsrechts lassen sich grob in drei Kategorien unterteilen: Verfahrensfragen, Fragen den Gegenstand der Prüfung betreffend und die Beurteilung der Prüfungsleistungen.

    Die Prüfung ist ein Vorgang, der sich nicht wiederholen läßt und die im Kern auf der persönlichen Einschätzung und Wertung des Prüfers beruht. Um das Defizit an Grundrechtsschutz auszugleichen, sind besondere Anforderungen an die Zuständigkeits- und Verfahrensfragen zu stellen, beispielsweise in Hinblick auf den äußeren Ablauf oder die Qualifikation des Prüfers.

    Wichtigster Grundsatz im Prüfungsrecht ist die Chancengleichheit. Sie verlangt eine Formalisierung des Prüfungsrechts nach feststehenden Regelungen. Jeder Prüfling ist dabei gleich zu behandeln; für eine Ungleichbehandlung müssen besondere Gründe vorliegen, z.B. Krankheit.

    Die eigentliche Prüfungsentscheidung besteht zu einem Großteil aus Wertungen, die nicht oder nur stark eingeschränkt kontrollierbar sind. Aus diesem Grund müssen besondere Anforderungen an die äußeren Bedingungen des Prüfungsablaufs gestellt werden.

    Im Prüfungswesen gilt in besonderem Maße der Grundsatz des Vertrauensschutzes, der den Prüfling vor unliebsamen Überraschungen schützen soll und zur rechtzeitigen Information anhält. Jeder Prüfling kann verlangen, in angemessener Weise über die Vorgänge in der Prüfung/Leistungskontrolle informiert zu werden, soweit dies mit deren Sinn und Zweck vereinbar ist.

    Die Frage, inwieweit ein Anspruch der Eltern darauf besteht, von versetzungsgefährdenden Leistungen ihres Kindes Mitteilung zu erhalten (Vorwarnung), wird nicht einheitlich beurteilt. Die Tendenz dürfte aber dahin gehen, daß zwar ein Rechtsanspruch der Eltern nicht besteht; soweit Eltern aber ihr Recht auf Mitwirkung an der schulischen Ausbildung ihres Kindes – z.B. durch Nachhilfe o.ä.- verwirklichen können, besteht eine Informationspflicht der Schule.

    Hat die Schule ihre Informationspflicht verletzt, also eine Vorwarnung nicht ausgesprochen oder die Eltern zu spät informiert, so daß Abhilfe nicht mehr möglich war, so ist die Nichtversetzung wegen der Leistungen in diesem Fach rechtswidrig. Ob ein Aufsteigen in die nächsthöhere Klasse möglich ist, muß innerhalb der Klassenkonferenz entschieden werden. Voraussetzung ist, daß der Schüler in der Lage ist, in der nächsten Klasse erfolgreich mitzuarbeiten.

    Wie die Leistung eines Schülers inhaltlich einzuschätzen und zu bewerten ist, beurteilt der Lehrer anhand fachlicher, pädagogischer und wissenschaftlicher Kriterien. Daß diese Beurteilung in höchstem Maße subjektiv ist, leuchtet ein und ist auch gewollt.

    Während bei Abschlußprüfungen in der Regel die Arbeiten von einem Zweitkorrektor durchgesehen werden, unterliegen Kassenarbeiten und Klausuren nur der Kontrolle durch die unterrichtende Lehrkraft.

    Bei Prüfungen (z.B. Abitur) und prüfungsähnlichen Entscheidungen (z.B. Versetzung in die nächsthöhere Klasse) wird Lehren ein sogenannter Beurteilungsspielraum eingeräumt. Dies bedeutet, daß bestimmte Bereiche der gerichtlichen Kontrolle entzogen sein müssen.

    Innerhalb eines gerichtlichen Verfahren wird nur überprüft, ob

    • der Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt wurde
    • sachfremde Erwägungen angestellt wurden
    • das Gleichbehandlungsgebot beachtet wurde
    • offensichtliche Einschätzungs- oder Bewertungsfehler vorliegen.

    Der Beurteilungsspielraum wird seitens der Rechtsprechung damit begründet, daß es sich bei Prüfungen um fachlich-wissenschaftliche, im Schulbereich auch um pädagogische Bewertungen handelt.

    Darüber hinaus ist die Prüfungssituation meist nicht wiederholbar und für die nachträgliche gerichtliche Beurteilung fehlt der im Einzelfall notwendige Vergleich mit den Prüfungsleistungen anderer Prüflinge.

    Deshalb findet keine inhaltliche Kontrolle statt; vielmehr wird nur anhand der oben genannten Kriterien überprüft.

    Auch wenn diese eingeschränkte Prüfungskompetenz des Gerichts abschrecken mag, muß man sich einmal verdeutlichen, daß damit schon ein nicht unerheblicher Bereich von Bewertungsfehlern abgedeckt wird.

    Der Verpflichtung, allen Prüflingen äußere Chancengleichheit zukommen zu lassen, verlangt eine Formalisierung des Prüfungsverfahrens. Daher kann die Verletzung von Zuständigkeits- oder Verfahrensvorschriften zu Mängeln im Prüfungsverfahren führen.

    Gerade im Bereich des Prüfungsverfahrens gewinnt das Recht auf Akteneinsicht besondere Bedeutung.

    Wie im Verwaltungsverfahren üblich, sind zur Akteneinsicht die Beteiligten (§ 13 Verwaltungsverfahrensgesetz) berechtigt, alle diejenigen, die Adressat eines Verwaltungsaktes sind oder die einen solchen beantragt haben. Minderjährige Schüler müssen sich in der Regel von ihren Eltern vertreten lassen.

    Voraussetzung der Akteneinsicht ist ein rechtliches Interesse. Grundsätzlich ist die Behörde befugt, die Einsicht mit Hinweis auf die Beeinträchtigung bei der ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Aufgaben oder aus Geheimhaltungsgründen zu untersagen. An eine solche Verweigerung sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen, die auch in der Begründung dargelegt werden müssen.

    In Hinblick auf die überragende Bedeutung von Noten in schulischen Abschlußprüfungen für den Arbeitsmarkt, sind bei begründeten Zweifeln an deren Ordnungsgemäßheit die zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten aktiv und selbstbewußt wahrzunehmen.

    Gerade im Prüfungsrecht gibt es vielfach Mißverständnisse in Hinblick auf den Umfang der gerichtlichen Überprüfung. Fällt der Versuch einer außergerichtlichen Streitbeilegung negativ aus und soll versucht werden, mit gerichtlicher Hilfe eine Entscheidung herbeizuführen, ist es wichtig, sich keine falschen Vorstellungen zu machen. Eine Entscheidung eines Lehrers, beispielsweise in Hinblick auf eine Abschlußnote, soweit diese isoliert angreifbar ist, wird nicht umfassend, sondern vielmehr anhand einiger Kriterien überprüft.

    Gerichte werden zunehmend mit Fragen aus dem Prüfungsrecht befaßt, bei denen es auch um Konstellationen geht, in denen ein Schüler nicht versetzt wurde.

    Leistungsbewertungen öffentlicher Schulen tragen stets öffentlich-rechtlichen Charakter. Daher ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

    Obwohl das Rechtsverhältnis zwischen einem Schüler und dem Träger privatrechtlich ausgestaltet ist, können Prüfungs- und Versetzungsentscheidungen an staatlichen Ersatzschulen vor den Verwaltungsgerichten ausgefochten werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sie insoweit öffentliche Aufgaben wahrnehmen und an der Erfüllung des allgemeinen Bildungsanspruchs mitwirken.

    Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle sind im Bereich der Leistungsbewertung die Rechtmäßigkeit von Prüfungs- und Versetzungsentscheidungen.

    Überprüfbar sind allerdings nur abschließende Entscheidungen, nicht dagegen unselbstständige Einzelbewertungen wie Klassenarbeiten, Vorzensuren oder sonstige vorbereitende Maßnahmen. Einzelnoten können dann angefochten werden, wenn der Kläger geltend machen kann, daß er gerade durch diese Note in seinen Rechten verletzt wird (z.B. Studienplatzwahl, Berufswahl, Wahl der Ausbildungsstätte).

    Entgegen einer weit verbreiteten Meinung handelt es sich bei den Verwaltungsgerichten nicht um „Superprüfungsausschüsse“. Sie kontrollieren lediglich, ob sich das öffentliche Prüfungswesen auf der Grundlage und im Rahmen des Rechts vollzieht. Innerhalb dieses Rahmens werden Prüfungsentscheidungen nach fachlich-wissenschaftlichen Kriterien bewertet, die sich der gerichtlichen Kontrolle weitgehend entziehen.

    Der Grund dafür ist darin zu sehen, daß die berufenen Prüfer ein höchstpersönliches Fachurteil abgeben. In diesem Bereich ist ihnen ein Bewertungs- und Einschätzungsvorrecht, der sogenannte Beurteilungsspielraum eingeräumt.

    Die gerichtliche Kontrolle ist im wesentlichen darauf ausgerichtet:

    • ob das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist
    • ob die Prüfer von zutreffenden Tatsachen ausgegangen sind
    • ob allgemein anerkannte Bewertungsmaßstäbe beachtet wurden
    • ob keine sachfremden Erwägungen mit eingeflossen sind
    • ob die Bewertung gerechtfertigt und nicht willkürlich ist.

    Prüfungsentscheidungen sind wie folgt aufgebaut:

    1. Teil: Dieser dient der Bestimmung der rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen der Prüfung

    2. Teil: Er besteht aus der Ermittlung der Leistungen und Fähigkeiten des Schülers/Prüflings

    3. Teil: Er umfaßt die Wertung, ob der Schüler die Voraussetzungen für das Bestehen der Prüfung erfüllt hat

    Ziel der Klage ist das Bestehen der Prüfung, die Versetzung in die nächst höhere Klasse oder die Verbesserung einzelner Prüfungsleistungen.

    Statthafte Klageart ist also die Verpflichtungsklage, mit dem Antrag, z.B. die Schule zu verurteilen, einen Verwaltungsakt mit einem bestimmten Inhalt zu erlassen.

    Soweit Gegenstand die Verbesserung von Einzelnoten in bestimmten Fächern, Zeugnisse oder Teilabschnitte der Prüfung sind, muß berücksichtigt werden, daß mit der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage grundsätzlich nur um Verwaltungsakte gestritten werden kann. Einzelbewertungen in Form von Klassenarbeiten oder Einzelnoten sind aber häufig nur unselbstständige Bestandteile einer Gesamtbewertung. Ein solcher unselbstständiger Teil ist kein Verwaltungsakt; eine gerichtliche Kontrolle ist also nur dann ausnahmsweise möglich, wenn Rechtsfolgen auch an die Einzelnote geknüpft werden, was regelmäßig nur sehr selten der Fall ist.

    Die Verbesserung der einzelnen Fachnote kommt ferner in Betracht, wenn diese rechtsrelevant ist.

    Die Leistungsklage oder Unterlassungsklage ist auch die statthafte Klageart, wenn es um bestimmte Angaben im Zeugnis geht (z.B. Sozialverhalten).

    Sollten Bewertungsfehler (z.B. falsche Tatsachen wurden zugrunde gelegt, sachfremde Erwägungen wurden angestellt oder allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe wurden verletzt) geltend gemacht werden, ist der Anwendungsbereich der Verpflichtungsklage oder der allgemeinen Leistungsklage eröffnet.

    Die angefochtene Prüfungsentscheidung ist wegen der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur rechtskräftigen Gerichtsentscheidung ohne Rechtswirkung; ist die Klage erfolgreich, hebt das Gericht sie auf. Zusätzlich verpflichtet das Gericht – je nach Antrag- die Schule das fehlerhafte Prüfungsverfahren zu wiederholen oder erklärt im Falle eines Bewertungsfehlers die Prüfung für bestanden.

    Im Prüfungswesen besitzt der vorläufige Rechtsschutz eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Er findet statt durch den Erlaß einstweiliger Anordnungen, damit werden dann vorläufige Regelungen getroffen. Problematisch ist, daß der vorläufige Rechtsschutz im Prüfungswesen, dann wenn er effektiv sein soll, nicht umhin kann, die Hauptsache vorwegzunehmen. Auch wenn ein solcher Vorgriff im allgemeinen unzulässig ist; im Prüfungswesen ist eine Vorwegnahme dann zulässig, wenn der Rechtsschutz ansonsten leerzulaufen droht und die Klage über die erforderliche Erfolgsaussicht verfügt.

    Im Rahmen der Zulässigkeit einer Klage sind weitere Fragen zur klären. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich danach, in welchem Bezirk die umstrittene Prüfungs- oder Versetzungsentscheidung getroffen wurde.

    Klagebefugt ist grundsätzlich der Schüler, in Falle seiner Minderjährigkeit muß er sich durch seine Eltern vertreten lassen. Diesen kommt dann eine selbstständige Klagebefugnis zu, wenn ihr Elternrecht betroffen ist.

    Die Versetzung in die nächsthöhere Klasse ist in erster Linie abhängig vom Erreichen eines vorgegebenen Leistungs- oder Ausbildungsziels und erfordert die Prognose, daß der Schüler in der nächsthöheren Klasse voraussichtlich erfolgreich mitarbeiten kann.

    In diesem Zusammenhang ist wiederum zu bedenken, daß die Entscheidung über die Versetzung eines Schülers auch von pädagogischen Erwägungen bestimmt wird und die Prognose in Hinblick auf den Erfolg in der nächsthöheren Klasse eine individuelle Einschätzung erfordert.

    Die Entscheidung über die Versetzung/Nichtversetzung stellt einen Verwaltungsakt dar.

    Beim Vorgehen gegen die Entscheidung über die Nichtversetzung ist also zu berücksichtigen, daß eine gerichtliche Überprüfung nur anhand der oben genannten Kriterien erfolgen kann. Ein mit dieser Frage befaßtes Gericht stellt keine Überlegungen in Hinblick auf die Qualität des Unterrichts o.ä. an und fällt keine eigene Entscheidung in Hinblick auf den Leistungsstand des Schülers.

    § 20 Verwaltungsverfahrensgesetz normiert, daß Befangenheit zum Ausschluß eines Amtsträgers führt. Diese Bestimmung findet auch im Schulverhältnis Anwendung.

    Neben der Nennung, welche Personen ausgeschlossen sind (Familienangehörige), bestimmt § 21 des Verwaltungsverfahrensgesetzes, daß bei der Besorgnis der Befangenheit, also dann, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen, ein Ausschlußgrund besteht.

    Auf diese Weise wird die für eine Prüfung elementare Chancengleichheit und ein faires Verfahren gewährleistet.

    Geprüft werden muß dann im Einzelfall, ob aus Sicht eines verständigen Prüflings, die Sorge der Befangenheit berechtigt ist, ob also der betreffende Lehrer nicht unparteiisch und unvoreingenommen entscheiden wird.

    Allerdings ist ein konkreter Grund erforderlich, allein nicht ausreichend sind Befürchtungen ganz allgemeiner Art.

    Sollen schulische Abschlussprüfungen angegriffen werden, empfiehlt es sich zunächst, immer die Akten einzusehen.

    Den besten Angriffpunkt, z.B. bei einem nichtbestandenem Abschlussprüfungen bieten die häufig vollkommen unzureichend geführten Prüfungsprotokolle.